(1922)
II. Der österreichisch-serbische Konflikt1. Zur Vorgeschichte der österreichisch-serbischen Krise Die
Krisis, die zum Weltkriege geführt hat, ist aus dem österreichisch-serbischen
Konflikte hervorgegangen, der, seit langem latent, infolge der Ermordung
des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin zum Ausbruch
kam und zur Überreichung der Note vom 23. Juli 1914 führte.
Die Vorgeschichte dieser Note beginnt nicht mit dem Attentate von Sarajevo,
auch nicht mit der bosnischen Annexionskrise von 1908/09, wie es von Seiten
des Feindbundes meist dargestellt wird, sondern reicht weiter zurück.
Man muß auf die Spannung in den austro-serbischen Beziehungen zurückgehen,
die 1903 bei der Thronbesteigung König Peters einsetzte, nachdem
schon unter dessen Vorgänger Alexander nach dem Rücktritt König
Milans im Jahre 1889 die Beziehungen Österreich-Ungarns zu Serbien
die frühere Herzlichkeit eingebüßt hatten. *) Beilage 1 zu den Stenographischen Berichten über die öffentlichen Verhandlungen des Untersuchungsausschusses (1. Unterausschuß). Berlin, 1920, S. 14 ff. Das Jahr 1903, die Beseitigung der Obrenowitsch und die Erhöhung
der Karageorgewitsch auf den serbischen Thron, bildet in dieser Entwicklung
einen radikalen Einschnitt. Schon auf dem Wege nach Belgrad wird König
Peter auf österreichischem Boden mit dem demonstrativen Ruf begrüßt:
"Heil dem König von Kroatien!" Die fortschreitende Radikalisierung
der südslawischen Bewegung wird an zahllosen Zeichen gemessen. Darüber
besteht eine reichhaltige Literatur, die dartut, wie weit die Gefahr schon
in der Zeit der Annexionskrise 1909 fortgeschritten ist. Die serbische
Regierung bekannte sich zu einem Programm, dessen Durchführung die
Zertrümmerung Österreichs bedeutete. In einer auf Veranlassung
von Paschitsch verfaßten Denkschrift war schon 1904 als wesentlichster
Programmpunkt der Propaganda formuliert: "Agitation in Bosnien behufs
Anschlusses an Serbien. Diskreditierung der dortigen österreichisch-ungarischen
Administration durch systematische publizistische Propaganda und Nährung
der Unzufriedenheit der orthodoxen und mohammedanischen Bevölkerung
Bosniens und der Herzegowina". (Zitiert nach Mandl: Österreich-Ungarn
und Serbien, Seite 15 ff.). Zu Neujahr 1909 verstieg sich der damalige
serbische Minister des Auswärtigen, Milowanowitsch, in der
Skupschtina
zu der Äußerung: "Österreich muß aufhören,
ein Balkanstaat zu sein." Der Führer der Altradikalen Proitsch
ging noch weiter: "Zwischen uns und Österreich-Ungarn kann es
nur dann Frieden und gute Nachbarschaft geben, wenn Österreich-Ungarn
darauf verzichtet, eine Großmacht zu sein." (Zitiert nach Th.
v. Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns, Bd. II, S. 204
ff.) Die nationalen Aspirationen der Serben beschränkten sich nicht
auf Bosnien, sie griffen auch auf Kroatien und Dalmatien, selbst auf Krain
über. Das Treiben der Serben wurde so wild, daß selbst der
Pariser "Temps" von "unerträglichen" Provokationen
sprach. Nur widerwillig fügte sich Serbien den Mächten, die
damals zu den letzten Konsequenzen nicht entschlossen waren, indem es
sich Österreich-Ungarn gegenüber verpflichtete (31. März
1909), "die Richtung seiner gegenwärtigen Politik gegen Österreich-Ungarn
zu ändern und künftighin mit diesem letzteren auf dem Fuße
freundnachbarlicher Beziehungen zu leben". In der tatsächlichen
Haltung Serbiens aber änderte diese Erklärung nicht das mindeste,
vielmehr gingen die Wühlereien in den slawischen Gebieten Österreich-Ungarns
unvermindert fort. *) Der Mord wurde mit einem von den Brownings verübt, die der serbische Major Tankositsch den Verschwörern besorgte. Das vorausgegangene Bombenattentat mißlang. (Verfasser.) Schriftsteller während des Krieges in einem Buche über Serbien
folgendes mitteilt: "Herr Paschitsch versuchte heimlich den Ballplatz
zu verständigen, daß sich der Erzherzog durch seine Reise nach
Bosnien Gefahren aussetze. Am 21. Juni teilte der serbische Gesandte in
Wien dem Ministerium in Wien mit, daß die serbische Regierung Grund
zu glauben habe, daß sich ein Konflikt in Bosnien organisiert hätte.
Der Kanzler legte auf diesen Wink keinen Wert". Vom Grafen Berchtold
ist später festgestellt worden, daß der serbische Gesandte
in Wien diese Demarche niemals ausgeführt hat, wobei natürlich
offen bleibt, ob er einen Auftrag von Paschitsch erhalten und ignoriert
hat. (Näheres berichtet hierüber Mandl: Die Habsburger und die
serbische Frage, S. 150 ff.) Ob nun Paschitsch vorher von dem Sarajevoer
Attentat unterrichtet war oder nicht: jedenfalls hat er nach dem Morde
bis zur Überreichung der österreichischen Note nichts getan,
um Österreich eine Sühne zu bieten. Die serbische Presse erging
sich in schlecht verhehltem Jubel über den Tod des österreichischen
Thronfolgers. *) Siehe J. Hashagen, Umrisse der Weltpolitik (Leipzig 1918), Bd. II, S. 125 ff. nungen wurde Serbien von Rußland bestärkt, und zwar nicht allein
von panslawistischen Kreisen, sondern auch von den verantwortlichen Leitern
der russischen Politik. Hierfür liegen zahlreiche Urkunden zum Beweis
vor. Die jüngste ist der Bericht des serbischen Ministerpräsidenten
aus Petersburg vom 2. Februar 1914 über seine Audienz beim Zaren.
Er erklärte diesem, wie er schreibt: *) Denkschrift vom 27. Mai .1919, Anlage VI, 26. verstärkte nationale Schwungkraft des Serbentums wandte sich nunmehr
vollbewußt dem österreichisch-ungarischen Gebiete zu. "La
premiere manche est gagnee", sagte Paschitsch nach der Unterzeichnung
des Bukarester Friedens, "maintenant il faut preparer la seconde
manche contre l'Autriche" (Boghitschewitsch, Kriegsursachen, S.
65). Gegenüber dem früheren serbischen Geschäftsträger
in Berlin, Herrn Boghitschewitsch, hat sich Herr Paschitsch um dieselbe
Zeit ausdrücklich dazu bekannt, daß er es schon im ersten Balkankriege
hätte auf den europäischen Krieg ankommen lassen können,
um Bosnien und die Herzegowina zu erwerben. Er habe aber zunächst
den Besitz Mazedoniens für Serbien sichern wollen, "um dann
erst zur Erwerbung Bosniens und der Herzegowina schreiten zu können"
(Boghitschewitsch, Kriegsursachen, S. 65). Bei diesen Plänen der
führenden serbischen Köpfe mußte sehr schnell der Augenblick
eintreten, wo Österreich zu kämpfen hatte, wollte es nicht vor
dem serbischen Nachbar abdanken und die Auflösung als sein Schicksal
hinnehmen. Trat Serbien vor der österreichischen Entschlossenheit
den Rückzug an und konnte Österreich seine Position ohne Krieg
wahren, um so besser. Einem Volke gegenüber, das den Appell an die
Waffen als sein gutes Recht betrachtete und soeben zweimal ausgeführt
hatte, durfte aber Österreich vor der Eventualität eines Krieges
nicht zurückschrecken. ... Weiter:
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